Bis ins Jahr 1974 hatte Deutschland die höchste Säuglingssterblichkeitsrate aller westlichen Industriestaaten. Schon damals mussten die Frühchen in herkömmlichen Rettungswagen zur besseren Versorgung in Spezialkliniken transportiert werden – das ist übrigens bis heute so. Dabei sollen Frühgeborene möglichst gar nicht transportiert werden; zu groß sind die Gefahren, die etwa starke Erschütterungen während der Fahrt für das Kleine mit sich bringen.
Zu ihrem besseren Schutz, zur Vermeidung von Spätschäden bei Frühgeburten und auf Anregung der Kinderärzte des Olgahospitals und der Städtischen Kinderkliniken Stuttgart plante die gemeinnützige Björn Steiger Stiftung daher den ersten „Baby-Notarztwagen“; die Ausarbeitung erfolgte in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Roten Kreuz. Am 25. Juni 1974 wurde das erste Modell in Deutschland offiziell in den Dienst gestellt.
Oktober 1975, Ortswechsel: Bei Recklinghausen in Nordrhein-Westfalen kommt der kleine Jochen zur Welt, sein Blut ist übersäuert. Ein Feuerwehrmann bringt den Kleinen in einer Tragetasche und ohne ärztliche Begleitung in die Klinik nach Datteln; von dort aus wird er per Hubschrauber in die Klinik nach Düsseldorf geflogen. Doch der Junge wird nur eine Woche alt – eine echte Chance hatte er nie.
Jahrzehnte lang verwindet sein Vater Herbert Wiethoff den Tod seines Sohnes nicht – nimmt ihn aber ähnlich wie das Ehepaar Ute und Siegfried Steiger nach dem vermeidbaren Tod ihres Sohnes Björn zum Anlass, um etwas für die Verbesserung der medizinischen Versorgung in Deutschland zu tun.
Unermüdlich und über zwei Jahrzehnte hinweg sammelt er als ehrenamtlicher Landesbeauftragter des damaligen Rettungsdienstes Björn Steiger 700 000 Mark, nutzt seine guten Kontakte zum damaligen VW-Chefkonstrukteur in Wolfsburg und luchst diesem einen VW-Bus als Rohling ab. „Den haben wir mit einigen medizinischen Geräten ausgerüstet und erste Erfahrungen gesammelt“, erinnert sich Wiethoff.
Am 8. September 1979 war es dann soweit: Die Kinderklinik in Datteln erhielt ihren ersten Baby-Notarztwagen. Nur wenige Stunden nach der offiziellen Übergabe rettete genau dieses Fahrzeug dem ersten Kind das Leben: Die kleine Karin aus Herten kam in der 34. Schwangerschaftswoche mit einem Geburtsgewicht von 1350 Gramm zur Welt und wurde im Baby-Notarztwagen in eine Klinik gebracht. „Sie wäre ansonsten sicherlich gestorben“, so Wiethoff.
Auch der kleine Andy aus Recklinghausen kam damals nicht mit den besten Bedingungen auf die Welt: Der Junge wog bei seiner Geburt gerade einmal 635 Gramm und überlebte nur dank schneller medizinischer Hilfe in der richtigen Klinik. „Ich hatte ihn selbst auf dem Arm“, sagte Herbert Wiethoff damals. „Das vergesse ich nie.“
Alleine die beiden ersten Baby-Notarztwagen der Kinderklinik Datteln fuhren in den ersten 17 Jahren mehr als 12 000 Einsätze und retteten so das Leben unzähliger Babys.
Eine Mutter, deren Kind vor sieben Jahren vom Baby-Notarztwagensystem der Björn Steiger Stiftung in Stuttgart profitierte, ist Julia Köstlin. Gerade einmal 1150 Gramm brachte ihre Tochter Valerie bei der Geburt auf die Waage; die Kleine musste in der 28. Schwangerschaftswoche per Kaiserschnitt geholt werden. Zwei Mal musste das Frühchen innerhalb der ersten fünf Tage operiert werden – und in die Spezialklinik wurde es jeweils mit dem Baby-Notarztwagen transportiert. „Da haben uns ganz viele Engel begleitet“, sagt die dreifache Mutter heute.
Bis heute wird der Baby-Notarztwagen – ein Fahrzeug kostet etwa 300 000 Euro - durch Spenden und Sponsoren über die Björn Steiger Stiftung finanziert; noch immer ist jenes Fahrzeugsystem nicht im Rettungsdienstgesetz verankert.
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