DIE KLAGE

Björn Steiger Stiftung erhebt Verfassungs­beschwerde gegen die Bundesrepublik Deutschland und das Land Baden-Württemberg

Das deutsche Rettungsdienst-System wird seinem Auftrag nicht gerecht. Es ist im internationalen Vergleich schlecht aufgestellt und kostet Menschenleben. Es gibt keine einheitlichen Standards: Die Überlebenschancen der Bürgerinnen und Bürger sind ortsabhängig.

Der Bund kommt seiner grundrechtlichen Schutzpflicht und Garantenstellung nicht nach, einheitliche Regeln für die Versorgung in der Notfallrettung festzulegen. Das neue baden-württembergische Rettungsdienstgesetz verfestigt die Ungleichheiten im Rettungsdienstsystem und ist verfassungswidrig. Das Land Baden-Württemberg steht stellvertretend für alle Bundesländer.
Verfassungsbeschwerde Pressefoto Björn Steiger Stiftung

Warum klagt die Björn Steiger Stiftung?

Das deutsche Rettungswesen ist unfair.
Seit Jahren bemängeln wir, dass das Rettungswesen in Deutschland deutlich hinter den internationalen Standards zurückbleibt. Systembedingt sterben täglich Menschen, obwohl dies vermeidbar wäre, und unseren hochqualifizierten Rettungskräften sind die Hände gebunden. Dieser Zustand ist unerträglich, vor allem vor dem Hintergrund, dass die anhaltende politische Diskussion in den letzten zwanzig Jahren keinerlei echte Verbesserungen gebracht hat. Deshalb haben wir uns für den letzten möglichen Weg der Verfassungsbeschwerde entschieden.

Wer im Notfall überlebt, hängt vom Ort ab.

Das Rettungswesen befindet sich seit Jahren in einer lebensbedrohlichen Systemkrise: Die Fallzahlen der Notrufe sind stark gestiegen, jedoch wird der Rettungsdienst häufig durch Einsätze in nicht lebensbedrohlichen Fällen blockiert, sodass er für echte Notfälle nicht verfügbar ist. Die Länge und Berechnung der Hilfsfristen – wann also ein Rettungswagen nach Absetzen des Notrufs eintreffen muss – werden unterschiedlich gehandhabt. Es gibt erhebliche Qualitätsunterschiede in der geografischen Fläche sowie zwischen Stadt und Land. Wann und welche Hilfeleistung die Bürgerinnen und Bürger im Notfall tatsächlich erhalten, hängt damit vom Standort ab, nicht von einer bundesweit einheitlich geregelten Grundversorgung. Bisweilen ist die ländliche Versorgung sogar besser als die städtische.
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Der Bund kommt seiner „Garantenstellung“ nicht nach

Die Björn Steiger Stiftung ist der Ansicht, dass der Bundesgesetzgeber seine grundrechtliche Schutzpflicht vernachlässigt, weil er es versäumt hat, einheitliche Regelungen für Leistungen in der Notfallrettung zu definieren. Der Bund finanziert die medizinische Infrastruktur einschließlich der Notfallrettung über die Sozialversicherung und hat damit eine Garantenstellung für die Notfallrettung übernommen.

Wer Leistungen zahlt, muss sich auch darum kümmern, was die Menschen dafür bekommen. Diese Garantenstellung erstreckt sich auf die Qualität der Notfallrettung. Qualitätsmaßstab ist nach den Grundrechten der Lebensschutz und der sozialrechtliche Grundsatz: gleiche Beiträge, gleiche Leistungen.

Alle müssen die gleiche Überlebenschance haben

Die Ausgestaltung der Notfallrettung durch die Länder, die auf der indirekten Finanzierung durch die gesetzlichen Krankenkassen (GKV) beruht, erreicht nach Ansicht der Björn Steiger Stiftung das gebotene Schutzziel jedoch weder flächendeckend in den Ländern noch in der gebotenen gleichmäßigen Qualität. Die Qualitätsunterschiede verletzen den Anspruch insbesondere der GKV-Versicherten auf Gleichbehandlung. Das grundrechtlich gebotene Mindestschutzziel muss darin bestehen, eine Notfallrettung zu organisieren, die bei lebensbedrohlichen Erkrankungen die Überlebenschancen des Patienten wahrt und nicht durch unzureichende personelle und materielle Ausstattung sowie zu lange Hilfsfristen negativ beeinträchtigt. Wie schlecht es darum bestellt ist, zeigt exemplarisch das Rettungsdienstgesetz in Baden-Württemberg.
Rettungsdienst
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Das Rettungsdienstgesetz von Baden-Württemberg verletzt Grundrechte

Das am 1. Juli 2024 in Baden-Württemberg in Kraft getretene Rettungsdienstgesetz fördert nach Ansicht der Björn Steiger Stiftung fehlerhafte Vorgaben und veraltete Organisationsstrukturen. Zuständigkeiten und Strukturen im Notfall sind nicht umfassend geklärt, entsprechen nicht internationalen Standards und verringern die Überlebenschancen lebensbedrohlich Erkrankter in Baden-Württemberg

Die Hilfsrist wird verlängert, nicht verkürzt

Exemplarisch für viele Unzulänglichkeiten des Gesetzes hier ein einfaches Beispiel: Der Gesetzgeber hat die Hilfsfrist für lebensbedrohliche Notfälle effektiv erhöht. Vormals galten in Baden-Württemberg zehn bis maximal 15 Minuten bis zum Eintreffen des Rettungswagens und des Notarztes für alle Notfälle. Die Hilfsfrist startete mit dem Eingang des Notrufs in der Leitstelle. Jetzt gilt die Hilfsfrist nur noch ausschließlich für lebensbedrohliche Notfälle mit einer Zeit von zwölf Minuten. Allerdings beginnt die Hilfsfrist nicht mit dem ersten Klingelzeichen, sondern erst mit der Einsatzdisponierung. Um die alte und die neue Hilfsfrist miteinander vergleichen zu können, müssen daher mindestens zwei bis drei Minuten zu den neuen zwölf Minuten hinzuaddiert werden. Somit verschlechtert sich die Hilfsfrist auf mindestens 14 bis 15 Minuten. Dieser reale Zeitverlust ist jedoch für Patienten etwa mit Herz-Kreislauf-Stillstand zu spät. Der Gesetzgeber hat somit jegliche notfallmedizinische Evidenz missachtet und unzulässige Planungsvorgaben im Gesetz verankert. Der Landesgesetzgeber hat zu keinem Zeitpunkt dargelegt, was ihn zu dieser Absenkung im Schutzniveau veranlasst hat.
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Rettungswagen mit eingeschaltetem Blaulicht fährt durch die Stadt.

Baden-Württemberg steht stellvertretend für die Bundesländer

Das Gesetz lässt darüber hinaus aufgrund der sechsjährigen Übergangsfrist offen, auf welcher Rechtsgrundlage die Notfallrettung in Baden-Württemberg derzeit durchgeführt wird. Ein Rettungsdienstplan, der wiederum Grundlage für die Rettungsdienstbereichspläne ist, liegt seit Inkrafttreten des Gesetzes am 01.07.2024 bis zur Einreichung der Verfassungsbeschwerde am 13.03.2025 immer noch nicht vor. Es fehlt daher in Baden-Württemberg bereits formell an einem die grundrechtliche Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG konkretisierenden Schutzkonzept mit materiellen Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit und Berechenbarkeit des Rettungsdienstes. Baden-Württemberg steht exemplarisch für alle Bundesländer, die gesetzlich kein schlüssiges Konzept zur Gewährleistung eines funktionierenden Rettungssystems verankert haben. Insofern hätte eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Auswirkungen auch auf diese Bundesländer.

Wir wollen die Rettungshelfer entlasten

Die Björn Steiger Stiftung hat es sich seit ihrer Gründung zur Aufgabe gemacht, den Rettungsdienst kontinuierlich zu verbessern. Die Verfassungsbeschwerde ist ein vorläufiger Höhepunkt ihrer Bemühungen darum, Missstände im Rettungswesen aufzuzeigen und konkrete Verbesserungsvorschläge vorzulegen. Bereits 2019 hatte die Stiftung in einem Forderungspapier an die Politik entsprechende Lösungsansätze zur Neustrukturierung umfassend aufgezeigt. Uns ist es wichtig, zu betonen, dass sich die Verfassungsbeschwerde ausschließlich gegen das System richtet, in dem die dort tätigen Rettungskräfte selbst Opfer und Benachteiligte sind. Eine Änderung des Systems würde auch zu ihrer Entlastung führen und damit der Bevölkerung zugutekommen.
Verfassungsbeschwerde Pressefoto Steiger Stiftung 05
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