Das deutsche Rettungsdienst-System wird seinem Auftrag nicht gerecht
Winnenden, 13. März 2025 – Die Björn Steiger Stiftung hat beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Verfassungsbeschwerde gegen die Bundesrepublik Deutschland und exemplarisch für alle Bundesländer gegen das Land Baden-Württemberg erhoben. In politisch turbulenten Zeiten, in denen Zusammenhalt geboten ist, ist die Verfassungsbeschwerde als Mittel zum Zweck und alternativloser Weg zu sehen, systemische Missstände im Rettungsdienst zu beseitigen. Die Beschwerde hat zwei Kernpunkte: Zum einen kommt nach Ansicht der Verfassungsjuristen und Rettungsdienst-Experten der Stiftung der Bund seiner Aufgabe, die Notfallversorgung der Bürgerinnen und Bürger sicherzustellen, nur unzureichend nach und stellt kein durchgängig funktionierendes, flächendeckendes Rettungsdienst-System mit bundesweit vergleichbaren Qualitätsstandards zur Verfügung. Zum anderen verletzt das baden-württembergische Rettungsdienstgesetz vom Juli 2024 das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Baden-Württemberg steht stellvertretend für alle Bundesländer, für die eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Auswirkungen haben könnte. Mit der Verfassungsbeschwerde will die Björn Steiger Stiftung den Missständen und Fehlentwicklungen im System des deutschen Rettungswesens entgegenwirken.
Das deutsche Rettungswesen weist erhebliche Mängel auf
„Seit Jahren bemängeln wir, dass das Rettungswesen in Deutschland deutlich hinter den internationalen Standards zurückbleibt. Mehr noch: Systembedingt sterben täglich Menschen, obwohl dies vermeidbar wäre, und unseren hochqualifizierten Rettungskräften sind die Hände gebunden. Dieser Zustand ist unerträglich, vor allem vor dem Hintergrund, dass die anhaltende politische Diskussion in den letzten zwanzig Jahren keinerlei echte Verbesserungen gebracht hat. Deshalb haben wir uns für den letzten möglichen Weg der Verfassungsbeschwerde entschieden“, erklärt Pierre-Enric Steiger, Präsident der Björn Steiger Stiftung. Das Rettungswesen befindet sich seit Jahren in einer lebensbedrohlichen Systemkrise: Die Fallzahlen der Notrufe sind stark gestiegen, jedoch wird der Rettungsdienst häufig durch Einsätze in nicht lebensbedrohlichen Fällen blockiert, sodass er für echte Notfälle nicht verfügbar ist. Die Länge und Berechnung der Hilfsfristen – wann also ein Rettungswagen nach Absetzen des Notrufs eintreffen muss – werden unterschiedlich gehandhabt. Es gibt erhebliche Qualitätsunterschiede in der geografischen Fläche sowie zwischen Stadt und Land. Wann und welche Hilfeleistung die Bürgerinnen und Bürger im Notfall tatsächlich erhalten, hängt damit vom Standort ab, nicht von einer bundesweit einheitlich geregelten Grundversorgung. Häufig ist die ländliche Versorgung sogar besser als die städtische. „Aus medizinischer Sicht ist es inakzeptabel, dass der Bund seiner Verpflichtung, einen einheitlichen Rettungsstandard vorzugeben, immer noch nicht nachkommt. Für das Krankenhaus und den ärztlichen Bereich gibt es diese Vorgaben, für das Rettungswesen nicht. Es kann nicht sein, dass Menschen je nach Wohnort unterschiedliche Überlebenschancen haben. Es muss eine Qualitätssicherung für Ärzte und Patienten geben, die nicht an den Grenzen der Bundesländer scheitert“, sagt Frank Ulrich Montgomery, Ehrenpräsident der Bundesärztekammer und Mitglied des Präsidialrats der Björn Steiger Stiftung.
Der Bund kommt seiner „Garantenstellung“ nicht nach
Die Björn Steiger Stiftung ist der Ansicht, dass der Bundesgesetzgeber seine grundrechtliche Schutzpflicht vernachlässigt, weil er es versäumt hat, einheitliche Regelungen für Leistungen in der Notfallrettung zu definieren. Der Bund finanziert die medizinische Infrastruktur einschließlich der Notfallrettung über die Sozialversicherung und hat damit eine Garantenstellung für die Notfallrettung übernommen. „Wer Leistungen zahlt, muss sich auch darum kümmern, was die Menschen dafür bekommen. Diese Garantenstellung erstreckt sich auf die Qualität der Notfallrettung. Qualitätsmaßstab ist nach den Grundrechten der Lebensschutz und der sozialrechtliche Grundsatz: gleiche Beiträge, gleiche Leistungen", so Prof. Dr. Wolfgang Spoerr, Honorarprofessor an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Die Ausgestaltung der Notfallrettung durch die Länder, die auf der indirekten Finanzierung durch die gesetzlichen Krankenkassen (GKV) beruht, erreicht nach Ansicht der Björn Steiger Stiftung das gebotene Schutzziel jedoch weder flächendeckend in den Ländern noch in der gebotenen gleichmäßigen Qualität. Die Qualitätsunterschiede verletzen den Anspruch insbesondere der GKV-Versicherten auf Gleichbehandlung. Das grundrechtlich gebotene Mindestschutzziel muss darin bestehen, eine Notfallrettung zu organisieren, die bei lebensbedrohlichen Erkrankungen die Überlebenschancen des Patienten wahrt und nicht durch unzureichende personelle und materielle Ausstattung sowie zu lange Hilfsfristen negativ beeinträchtigt. Wie schlecht es darum bestellt ist, zeigt exemplarisch das Rettungsdienstgesetz in Baden-Württemberg.
Das Rettungsdienstgesetz von Baden-Württemberg verletzt Grundrechte
Das am 1. Juli in Baden-Württemberg in Kraft getretene Rettungsdienstgesetz fördert nach Ansicht der Björn Steiger Stiftung fehlerhafte Vorgaben und veraltete Organisationsstrukturen. Zuständigkeiten und Strukturen im Notfall seien nicht umfassend geklärt, entsprechen nicht internationalen Standards und verringern die Überlebenschancen lebensbedrohlich Erkrankter in Baden-Württemberg. „Aus dem Schutz der Menschenwürde, Art. 1 Abs. 1 GG, und dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 2 Satz 1, folgt ein verfassungsrechtlicher Anspruch der Bürgerinnen und Bürger auf ein funktionierendes Rettungsdienstsystem, das mit dem Gesetz jedoch nicht gegeben ist“, sagt Prof. Dr. Andreas Pitz, ehemaliger Richter und Direktor des Instituts für Gesundheits- und Life Science Recht der Technischen Hochschule Mannheim. Exemplarisch für viele Unzulänglichkeiten des Gesetzes hier ein einfaches Beispiel: Der Gesetzgeber hat die Hilfsfrist für lebensbedrohliche Notfälle effektiv erhöht. Vormals galten in Baden-Württemberg zehn bis maximal 15 Minuten bis zum Eintreffen des Rettungswagens und des Notarztes für alle Notfälle. Die Hilfsfrist startete vormals mit dem Eingang des Notrufs in der Leitstelle. Jetzt gilt die Hilfsfrist nur noch ausschließlich für lebensbedrohliche Notfälle mit einer Zeit von zwölf Minuten. Allerdings beginnt die Hilfsfrist nicht mit dem ersten Klingelzeichen, sondern erst mit der Einsatzdisponierung. Um die alte und die neue Hilfsfrist miteinander vergleichen zu können, müssen daher mindestens zwei bis drei Minuten zu den neuen zwölf Minuten hinzuaddiert werden. Somit verschlechtert sich die Hilfsfrist auf mindestens 14 bis 15 Minuten. Dieser reale Zeitverlust ist für jeden Patienten mit Herz-Kreislauf-Stillstand zu spät. Der Gesetzgeber hat somit jegliche notfallmedizinische Evidenz missachtet und unzulässige Planungsvorgaben im Gesetz verankert. Der Landesgesetzgeber hat zu keinem Zeitpunkt dargelegt, was ihn zu dieser Absenkung im Schutzniveau veranlasst hat.
Das Gesetz lässt darüber hinaus aufgrund der sechsjährigen Übergangsfrist offen, auf welcher Rechtsgrundlage die Notfallrettung in Baden-Württemberg derzeit durchgeführt wird. Ein Rettungsdienstplan, der wiederum Grundlage für die Rettungsdienstbereichspläne ist, liegt seit Inkrafttreten des Gesetzes am 01.07.2024 bis zur heutigen Einreichung der Verfassungsbeschwerde am 13.03.2025 immer noch nicht vor. Es fehlt daher in Baden-Württemberg bereits formell an einem die grundrechtliche Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG konkretisierenden Schutzkonzept mit materiellen Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit und Berechenbarkeit des Rettungsdienstes. „Baden-Württemberg steht exemplarisch für alle Bundesländer, die gesetzlich kein schlüssiges Konzept zur Gewährleistung eines funktionierenden Rettungssystems verankert haben. Insofern hätte eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Auswirkungen auch auf diese Bundesländer“, erklärt Pitz.
Lösungen zur Entlastung der Rettungshelfer
Die Björn Steiger Stiftung hat es sich seit ihrer Gründung zur Aufgabe gemacht, den Rettungsdienst kontinuierlich zu verbessern. Die Verfassungsbeschwerde ist ein vorläufiger Höhepunkt ihrer Bemühungen darum, Missstände im Rettungswesen aufzuzeigen und konkrete Verbesserungsvorschläge vorzulegen. Bereits 2019 hatte die Stiftung in einem Forderungspapier an die Politik entsprechende Lösungsansätze zur Neustrukturierung umfassend aufgezeigt. „Uns ist es wichtig, zu betonen, dass sich die Verfassungsbeschwerde ausschließlich gegen das System richtet, in dem die dort tätigen Rettungskräfte selbst Opfer und Benachteiligte sind“, stellt Pierre-Enric Steiger klar. Eine Änderung des Systems würde auch zu ihrer Entlastung führen und damit der Bevölkerung zugutekommen.
Über die Björn Steiger Stiftung:
Seit ihrer Gründung im Jahr 1969 setzt sich die Björn Steiger Stiftung für die Verbesserung der Notfallhilfe in Deutschland ein. Von der Einführung der Notrufnummer 112 bis zu modernen Initiativen zur Notfallversorgung treibt sie wichtige Entwicklungen voran.
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Bildunterschrift (von links nach rechts):
Unten: Prof. Dr. Wolfgang Spoerr - Rechtsanwalt und Honorarprofessor der Juristischen Fakultät, Humboldt-Universität zu Berlin, Noemi-Victoria Steiger - Vorständin der Björn Steiger Stiftung, Pierre-Enric Steiger - Präsident der Björn Steiger Stiftung, Christof Chwojka - Geschäftsführer der Björn Steiger Stiftung
Mitte: Prof. Dr. Christoph Moench - Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery - Ehrenpräsident der Bundesärztekammer und Mitglied des Präsidialrats der Björn Steiger Stiftung, Prof. Dr. Andreas Pitz, Direktor des Instituts für Gesundheits- und Life Science Recht der Technischen Hochschule Mannheim
Hinten: Dr. Torsten Gerhard - OPPENLÄNDER Rechtsanwälte, Béla Anda - Leiter der Kommunikation der Björn Steiger Stiftung
Statement von Pierre-Enric Steiger, Präsident der Björn Steiger Stiftung, anlässlich der Pressekonferenz zur Einreichung der Verfassungsbeschwerde der Björn Steiger Stiftung am 13. März 2025
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
heute stehen wir hier, um einen entscheidenden Schritt für das Leben und die Sicherheit der Menschen in Deutschland zu gehen. Wir haben heute Morgen um 9:00 Uhr Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingereicht – gegen die Bundesrepublik Deutschland und stellvertretend für alle Bundesländer gegen das Land Baden-Württemberg. Warum? Weil das Grundrecht der Bürgerinnen und Bürger auf ein effektives, modernes und flächendeckend gleichwertiges Rettungswesen systematisch ignoriert wird.
Es geht um nichts Geringeres als das Menschenrecht auf eine schnelle und bestmögliche Notfallversorgung – ein Recht, das tagtäglich verletzt wird. Gerade in einer Zeit wie der aktuellen, in der es darum geht, dass alle zusammenstehen, müssen wir noch schneller auf effiziente Strukturen drängen, um für die täglichen, aber auch für mögliche noch größere Notfallszenarien gewappnet zu sein. Denn heute schon sterben täglich Menschen in Deutschland, obwohl ihr Tod medizinisch vermeidbar gewesen wäre. Das ist nicht hinnehmbar. Während andere Länder längst moderne, digitale und wissenschaftlich fundierte, qualitätsgesicherte Strukturen geschaffen haben, hält Deutschland an einem überholten, ineffizienten System fest, das aus den 1970er-Jahren stammt. Und die Politik? Sie diskutiert seit Jahrzehnten, anstatt endlich zu handeln!
Mein Vater, Siegfried Steiger, war vor 55 Jahren der Begründer des modernen Rettungswesens in Deutschland. Viele der Strukturen, die heute selbstverständlich erscheinen – Notrufnummern, Rettungsfahrzeuge, Luftrettung, Leitstellenstrukturen –, gehen auf seine Initiativen zurück. Deutschland war einst weltweit führend im Rettungsdienst. Doch die Realität heute ist eine andere: Wir sind im internationalen Vergleich zurückgefallen und gelten als Entwicklungsland im Rettungswesen. Das ist so – trotz hochqualifizierter Fachkräfte und modernster technischer Ausstattung. Der Grund? Ein veraltetes, politisch reformresistentes System, das den medizinischen Fortschritt ausbremst und Menschenleben gefährdet.
Unsere Stiftung kämpft seit über 55 Jahren für die Rechte von Notfallpatienten. Angesichts des politischen Stillstands, der schon mehr als zehn Jahre anhält, haben wir eine umfassende wissenschaftliche Studie in Auftrag gegeben, geleitet von dem ehemaligen Bundesverfassungsrichter Prof. Dr. Dr. Udo Di Fabio. Als wir die Ergebnisse dieser umfangreichen Studie am 18. Juli letzten Jahres in der Bundespressekonferenz vorgestellt haben, zogen wir und die beteiligten Experten daraus eine klare Schlussfolgerung: Unsere Forderung nach einer Reform ist nicht nur medizinisch, sondern auch verfassungsrechtlich zwingend notwendig. Doch anstatt die fundierten Erkenntnisse als Anlass zum Handeln aufzugreifen, zementiert die Politik das alte System immer weiter. Selbst der Bund, der anfangs Reformwillen zeigte, hat sein Tempo wieder verlangsamt.
Deshalb mussten wir nun diesen Schritt gehen. Unsere Verfassungsbeschwerde ist nicht nur ein juristisches Mittel – sie ist ein Weckruf an die gesamte Bundesrepublik. Sie richtet sich gegen eine Politik, die sehenden Auges zulässt, dass vermeidbare Todesfälle unter Notfallpatienten zu beklagen sind. Sie richtet sich gegen ein System, das Bürgerinnen und Bürger je nach Wohnort ungleich behandelt. Während in anderen Ländern außerhalb Deutschlands digitale Innovationen längst Standard sind, bleibt Deutschland rückständig – mit fatalen Konsequenzen. Diese Missstände können und wollen wir nicht länger akzeptieren!
Heute appellieren wir an die Politiker von Bund und Ländern: Hören Sie auf zu diskutieren – handeln Sie! Schaffen Sie ein modernes, effizientes und gerechtes Rettungssystem, das sich an internationalen Best-Practice-Standards orientiert. Sorgen Sie für eine bundesweit einheitliche, gleichwertige und nach internationalen Qualitätsstandards ausgerichtete Versorgung – von Flensburg bis Konstanz, unabhängig von lokalen Zuständigkeiten.
Und schließlich richten wir unseren eindringlichen Appell an das Bundesverfassungsgericht: Diese Verfassungsbeschwerde ist ein Notruf für ein überlebenswichtiges System. Studieren Sie unsere Argumente über die Unzulänglichkeiten im Sinne unserer Verfassung. Übrigens, ausgerechnet die Stadt Karlsruhe selbst gehört nachweislich zu den am schlechtesten versorgten Rettungsdienstbezirken in Baden-Württemberg.
Meine Damen und Herren, wir werden nicht ruhen, bis sich in Deutschland endlich etwas bewegt. Wir werden weiterhin für ein modernes, leistungsfähiges, qualitätsgesichertes und gerechtes Rettungssystem kämpfen – zum Schutz jedes Einzelnen in unserer Gesellschaft!
Vielen Dank.
Statement von Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery, Ehrenpräsident der Bundesärztekammer und Mitglied des Präsidialrats der Björn Steiger Stiftung, anlässlich der Pressekonferenz zur Einreichung der Verfassungsbeschwerde der Björn Steiger Stiftung am 13. März 2025
Sehr geehrte Damen und Herren,
Deutschland verfügt eigentlich über eines der besten Rettungssysteme der Welt … „eigentlich“. Die Lebenswirklichkeit ist eine andere. Es gibt über 200 unterschiedliche Leitstellensysteme. Die Trägerschaften dieser Leitstellen hängen von Ländern und Kommunen ab – es hängt von der Postleitzahl ab, ob Sie gerettet werden oder nicht.
Sechzehn Bundesländer haben sechzehn Rettungsdienstgesetze – als ob die Chance zu überleben eine landsmannschaftliche Größe wäre. Die Hilfsfristen dieser Gesetze variieren gewaltig – manchmal sogar in ein und demselben Bundesland zwischen Stadt und Land. Zwei Beispiele: In Hamburg hat man die Hilfsfrist ganz aus dem Gesetz genommen, in Thüringen beträgt sie 14 Minuten in der Stadt und 17 Minuten auf dem Land. Dort muss die Landbevölkerung eben länger durchhalten, bis die Rettung kommt ...
Dabei wissen wir alle, dass insbesondere die Chancen einer cardiopulmonalen Reanimation nach zehn Minuten rapide schwinden.
Eine bundeseinheitliche Standardisierung der Rettungsmittel – also der Ausstattung der Rettungswagen: Fehlanzeige!
Einheitliche Qualitätssicherung der Disposition der Rettungsmittel: Fehlanzeige!
Einheitliche, ausbildungsbasierte Kompetenzverteilung zwischen Notärzten und nichtärztlichen Rettungskräften: Fehlanzeige!
Der Bund, der sich intensiv in der Rahmengesetzgebung der Krankenhäuser hervortut, der im SGB V die Strukturen der niedergelassenen ärztlichen Versorgung und der Krankenkassen regelt und der über das schon erwähnte SGB V auch die Finanzierung des Rettungsdienstes den Krankenkassen zuweist, dieser Bund versagt gleichzeitig bei der Vorgabe einheitlicher Kriterien für einen bundesweit funktionierenden Rettungsdienst. Dabei wird angesichts einer wachsenden globalen Bedrohungslage die Notwendigkeit eines einheitlichen, effizienten und qualitätsgesicherten Rettungsdienstes immer wichtiger.
Der Bund muss daher eine einheitliche Rahmengesetzgebung
Die Ärzteschaft, das sei am Rande bemerkt, fordert dies nicht nur schon seit Längerem, wir sind auch in erhebliche Vorleistungen getreten. So haben wir der Bundesregierung zum Beispiel mit dem „Notarztindikationskatalog“ das Instrument an die Hand gegeben, das man als Handlungsgrundlage für die Disposition von Notärzten in den integrierten Rettungsleitstellen und Notdienstzentralen einsetzen könnte. Wir haben die Curricula entwickelt für die ärztlichen Qualifikationen in der „präklinischen Notfallmedizin“, den „Leitenden Notarzt“ und den „Ärztlichen Leiter Rettungsdienst“.
Einiges davon fand sich im „Notfall-Gesetz“ der Ampelkoalition wieder – dieses Gesetz ist aber mit dem Bruch der Koalition gescheitert und fällt jetzt der Diskontinuität anheim. Auch deswegen wollen wir den Bundesgesetzgeber zwingen, so schnell wie möglich einheitliche, verbindliche Regelungen zu schaffen.
Vielen Dank.
Statement von Prof. Dr. Wolfgang Spoerr, Rechtsanwalt und Honorarprofessor der Juristischen Fakultät, Humboldt-Universität zu Berlin, anlässlich der Pressekonferenz zur Einreichung der Verfassungsbeschwerde der Björn Steiger Stiftung am 13. März 2025
Sehr geehrte Damen und Herren,
heute Morgen haben wir die Verfassungsbeschwerde eingereicht. Wie Herr Steiger sagte, ist es ein Notruf an das Bundesverfassungsgericht. Die eigentliche Arbeit muss dann der Gesetzgeber machen. Er braucht aber, davon sind wir überzeugt, klare Leitplanken vom Gericht. Sonst wird er es nicht schaffen, weil zu vieles unklar ist, zu viele Sonderinteressen eine Reform behindern. Das haben die letzten Jahre leider gezeigt.
Was wir wollen, ist ein Rettungsdienst, der modern und effizient ist, weil nur dies das Leben der Menschen bestmöglich schützt. Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz sagt, dass jeder das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit hat.
Ein staatlicher Rettungsdienst ist keine Gnade und keine Freiwilligkeitsleistung. Vielmehr MUSS der Staat das Leben und die Gesundheit der Menschen schützen, indem er für ein funktionierendes System des Rettungsdienstes sorgt. Das Bundesverfassungsgericht sagt schon lange, dass der Staat eine Schutzpflicht für das Leben hat. Mehrfach hat es entschieden, dass sich die allgemeine Schutzpflicht des Staates zu einer konkreten Schutzpflicht verdichten kann. Speziell zum Rettungsdienst hat es bereits entschieden, dass nach dem Grundgesetz Hilfsbedürftige schnell Hilfe bekommen müssen. Der Rettungsdienst muss eine flächendeckende und bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung sicherstellen.
Der Rettungsdienst dient der Erfüllung der Schutzpflicht für das Leben, ein Grundrecht. Er ist ein essenzieller Bestandteil der staatlichen Daseinsvorsorge. Ausreichend dafür ist nicht irgendein Rettungsdienst, sondern ein guter Rettungsdienst, der dem Stand der Notfallmedizin in Aufbau, Ablauf und Ergebnis entspricht. Es muss eine effiziente und leistungsfähige Infrastruktur geben, die dem internationalen state of the art entspricht.
Der derzeitige Zustand ist bundesweit völlig unzulänglich, das gebotene Schutzziel zu erreichen.
Deshalb klagen wir gegen das Rettungsdienstgesetz Baden-Württemberg. Es ist das neueste Landesgesetz. Ihm zuvor gegangen war, dass das oberste Verwaltungsgericht in Baden-Württemberg die baden-württembergische Rettungsdienstplanung für nichtig erklärt hat, weil sie den erforderlichen Lebensschutz nicht gewährleistet. Daraufhin hat der Landtag sein Gesetz an den schlechten Zustand angepasst und damit die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs untergraben. Es ist kein Gesetz, das den Sollzustand vorgibt, damit der Ist-Zustand auf den Sollzustand gebracht wird. Vielmehr ist es ein Gesetz, das der Landtag an die traurige Wirklichkeit angepasst hat.
Das verstößt gegen das Grundgesetz, wenn es um Gesundheit, Leben und Tod geht. Infolge derzeitig bestehender Defizite erleiden Notfallpatienten real erhebliche Eingriffe in ihre Gesundheit und häufig eine Verschlechterung ihres körperlichen Zustandes bis hin zum Tod. Ein Beispiel ist die viel zu lange Hilfsfrist, bis der Rettungsdienst nach dem Anruf bei der Patientin ist: Jede Minute länger verschlechtert die Überlebenschancen dramatisch.
Die desolate Organisation und Ausstattung des Rettungsdienstes sind auch für die Mitarbeitenden nicht mehr zumutbar. Deshalb klagen mit uns neben betroffenen Bürgern auch Notärzte, denen die Zustände nicht mehr zumutbar sind. Es verletzt ihre ärztliche Berufsfreiheit, wenn sie die ihnen obliegende Hilfe wegen fehlender Ausstattung und Unterstützung nicht leisten können. Die berufliche und ethische Belastung ist immens, wenn sie zu spät zu Notfallpatienten gerufen werden, denen bei einer rechtzeitigen Ankunft hätte geholfen werden können.
Das ist Baden-Württemberg. In den anderen 15 Ländern sieht es auch nicht besser aus. Deshalb kommt für uns der Bund ins Spiel. Die Regelung des Rettungsdienstes liegt bei den Ländern. Der Bund sorgt aber für die Bezahlung des Rettungsdienstes aus der Krankenversicherung, aus dem Geld der Versicherten. Das stützt er auf seine Zuständigkeit für die Sozialversicherung.
Verfassungsrechtlich muss er dann dafür Sorge tragen, dass die Versicherten für ihre Beiträge auch eine kunstgerechte Leistung bekommen. Das fordert auch die Gleichheit vor dem Gesetz. Er darf nicht Versichertenbeiträge ausgeben und es dem Zufall überlassen, welche Leistung der Versicherte im Notfall bekommt. Derzeit kostet der Rettungsdienst die Krankenkassen Unsummen für oft schlechte Leistung. Der Bund regelt nicht, welche Leistung dafür gewährt wird. Das ist, als ob man mit einem Handwerker 300.000 Euro für den Bau eines Hauses vereinbart, aber offen lässt, ob er einen Geräteschuppen oder ein modernes Wohnhaus baut.
Vielen Dank.
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